Roland Staab

Bildender Künstler


Künstler der schweifenden Phantasie und innneren Gesichte

"Unser pochend Herz aber treibt uns hinab, tief hinunter zum Urgrund. Was dann aus diesem Treiben erwächst, möge es heißen, wie es mag, Traum, Idee, Phantasie, ist erst ganz ernst zu nehmen, wenn es sich mit den passenden bildnerischen Mitteln restlos zur Gestaltung verbindet. Dann werden jene Kuriosa zu Realitäten, zu Realitäten der Kunst, welche das Leben etwas weiter machen, als es durchschnittlich scheint. Weil sie nicht nur Gesehenes mehr oder weniger temperamentvoll wiedergeben, sondern geheim Erschautes sichtbar machen..."
Paul Klee

In träumerischer Selbstvergessenheit entwickelte Roland Staab ruhig und heiter, scheinbar ohne Anstrengung, auf seinen zahllosen Zeichnungen eine fesselnde und bezaubernde Welt, die von seltsamsten, bizarren Wesen bevölkert wird. Dieses bedachte nach Innen-Lauschen wird begleitet von einer einfühlsamen Beobachtungsgabe des emsigen, alltäglichen Treibens seiner Mitmenschen. Empfänglich für Sprachrhythmen und ausgestattet mit feiner Ironie "tauft" der Künstler das märchenhafte Geschehen auf seinen Arbeiten, nach dessen Vollendung, mit sinnreich hintersinnigen Formulierungen als Bildtitel. Absurdes und Komisches, Romantisches und Liebliches, Wahres und Erfundenes gehen eine gar wundersame Symbiose miteinander ein, die ebenso anregend wie verwirrend ist. Unwillkürlich könnte einem vor den Arbeiten von Roland Staab das alte Kinderspiel - "Ich sehe ‘was, was Du nicht siehst!" einfallen. Denn die anonymen Schraffurwesen, die seriellen Puzzles, die ineineinder- und miteinander verschlungenen Figurationen, die organischen Maschinerien und vegetativen Wucherungen, die Phantasie-Topografien und Fleck-Phantasmagorien besitzen innerhalb ihrer Konturen ein zweites Leben von reichen Strukturwerten. Diesem schillernd schwebenden Niemandsland aus greifbarer Realität und Obsession sind jeglicher Stumpfsinn und sentimentale Kundgebungen fremd. Als Betrachter kann man sich demzufolge unbeschwert, selbst frei phantasierend, in die eigenwüchsigen, ja eigengesetzlich sich entwickelnden Kompositionen abgleiten lassen.

In seinem Atelierraum ist Roland Staab umgeben von einem Arsenal an Zeichenfedern, gespitzten Blei- und Buntstiften, Pastellkreiden sowie einer Menge alchemistischer Näpfchen und Schächtelchen. Er liebt kostbare weiße und getönte Papiere und kuriose Gegenstände, die er auf Trödelmärkten nach langem Stöbern findet und glücklich seinem "Sammelsurium" in nahezu kultischer Handlung hinzufügt. Auf den Regalen, in denen unzählige Kunstbücher verstaut sind, befinden sich Blechspielzeug, Handspielpuppen, Kästchen mit historischen Beschriftungen, künstliche Früchte in beachtlichen Variationen, alte Postkarten und auf den Fensterbrettern liegen Steine mit prähistorischen Muscheleinschlüssen, gestauchte Metalldosen, Schwemmhölzer von verwunschenem Aussehen und Glasperlen. Roland Staab ist begeistert von den unterschiedlichsten Oberflächenstrukturen, die seine Phantasie anregen. Überall entdeckt man als Besucher Dinge, deren verlockendes Aussehen, zum Anfassen animieren. Und läßt man dann seinen Blick im Zimmer schweifen, wird man der Arbeiten des Künstlers gewahr, die in einer nahezu geheimnisvollen Beziehung zu diesen rätselhaften Gegenständen stehen dürften. Roland Staab hat es nicht verlernt, mit Kinderaugen zu sehen und sich überraschen zu lassen. Eine vitale Freude am Machen und ein damit verbundenes, gesteigertes Lebensgefühl kennzeichnen seine künstlerische Arbeit.

Er ist ein sehr sinnlicher Mensch, eher verschlossen, als sich laut offenbarend, aber wenn es einem gelingt, ihn in ein Gespräch über seine kunstvollen Erfindungen zu verwickeln, dann erzählt er mit einem halb unterdrückten Lächeln und gönnerhafter Offenheit sowie verbaler Überschwenglichkeit von der Entwicklung seiner zauberhaften Schöpfungen. Er umgibt sich mit seinen Arbeiten, studiert sie wachsam und entzückt und vollendet sie allmählich mit unfehlbarer Logik. War er anfangs fasziniert von einer Überfülle formaler Metamorphosen auf einem Blattgeviert, so drängt es ihn gegenwärtig zur Reduktion. Die Lineargespinste ufern nicht mehr aus, sondern werden eingeschlossen und begrenzt von lodernden, monochromen Farbräumen. oder verselbständigen sich zu abstrakten, leicht ornamentalen Zeichengefügen, wie in der Serie "Von Zeichen und Wundern".

Roland Staab wurde 1947 geboren. Malend und zeichnend eroberte er sich die Welt. Seine offensichtliche Begabung erkannte man bereits früh und förderte sie bedingt, so daß er sich Grundkenntnisse künstlerischer Techniken und Gestaltungen aneignen konnte. Von einem Studium der Malerei und Graphik riet man ihm aber dringend ab. Er rebellierte auch nicht dagegen, sondern fügte sich, wurde Konstrukteur des Maschinenbaus. Als Ingenieur konnte er sein kreatives Potential allerdings nur in geringem Maße ausleben. Er litt darunter und war bestrebt, in der Freizeit zu seinen schlummernden Trieben zurückzufinden. Ermutigung und Anregung erfuhr er dabei von den Dresdner Künstlern Klaus Drechsler und Veit Hofmann. So veränderte sich auch seine Bildauffassung von einer eher realistischen zu einer surreal-poetischen. Seinem Instinkt folgend, näherte er sich formal einem endlos wogenden Gebrodel traumbezogener, bildnerischer Metaphern und geheimnisvoller Anspielungen auf tatsächliche, ungeheuerliche Begebenheiten. 1991 entschied er sich dazu, technische Konstruktionen gegen bildnerische einzutauschen.

Es entstand in jenem Jahr auch das erste, für ihn gültige Künstlerbuch mit dem Titel "55 Blätter".
Inspiriert von der Proklamation des psychischen Automatismus durch die Surrealisten und sicherlich auch durch die Beschäftigung mit dem Werk von Max Ernst, entstand eine "poetische Bildgeschichte ohne eigentliche Handlung" als Entdeckungsfahrt ins Unbewußte. Blattfüllende Federzeichnungen fügten sich nahtlos an- und ineinander. Von Novalis ist ein Gedanke überliefert, der das Staab’sche Fabulieren treffend charakterisieren könnte:
"Kommen die fremdesten Dinge durch einen Ort, eine Zeit, eine seltsame Ähnlichkeit zusammen, so entstehen wunderliche Einheiten und eigentümliche Verknüpfungen - und eines erinnert an alles, wird das Zeichen vieles."

Roland Staab hat auch Anregungen vom Werk des italienischen Manieristen Arcimboldo oder von Hieronymus Bosch empfangen. Die Wirkung dadaistischer Konstruktionen ist ihm ebensowenig fremd wie die Poesie eines Paul Klee. Epigonal ist Roland Staab jedoch nie vorgegangen. Seine faszinierenden, bildnerischen Entdeckungen haben immer etwas mit ihm selber zu tun, mit Tagestimmungen und Erfahrungswerten, mit der komplexen Dialektik seines von Ängsten und Hoffnungen, von Träumen und Halluzinationen erfüllten Daseins. Menschen-, Tier-, und Pflanzengestalt, zumeist als Motiv des Vogels oder Fisches, verschwistern sich gelegentlich auf seinen Arbeiten in unergründlicher, von tiefem Humor getragener Weise zu Metamorphosen des Lebendigen ("Der Einfallspinsler", "Der Einfaltspinsel").

In dem ebenfalls 1991 entstandenem Künstlerbuch mit dem Titel "Das Kind der Frau des Mannes" kommt es erstmals zu einer herausragenden Sublimierung der Technik der Collage und Montage. Gezeichnete Köpfe und skurrile Figurationen kopierte und übermalte der Künstler, schnitt diese auseinander, um sie dann in abgewandelter Form beziehungsreich wieder zusammenzukleben. Daraus entwickelte sich einige Jahre später der Tanz der "Kopierten".
"Der Mann mit dem Erdbeerherz" gehört zur eigenwilligsten Figurenmenagerie des Roland Staab. Ihm sind eine Vielzahl von Leporellos, Schaukästen, Collagen, Assemblagen und Zeichnungen gewidmet, die teilweise fotografiert, kopiert und künstlerisch abermals verfremdet 1992 in ein einzigartiges Buch einflossen, in dem auch Sequenzen aus Videoaufnahmen der sich verändernden Umwelt des Künstlers Verwendung fanden, wie beispielsweise neuartige Kaugummi- und Schokoladenautomaten auf zerfallenden Hauswänden, den technischen und gesellschaftlichen Fortschritt dokumentierend.

Obgleich sich Roland Staab als Grenzgänger zwischen rätselhaften Tages- und Nachtphänomenen erweist, ist ihm seine Begeisterungsfähigkeit für natürliche Gegebenheiten nicht abhanden gekommen. 1993 führte ihn eine Reise nach Norwegen. Fasziniert von der Unberührtheit der Landschaft gab er sich einem exakten Naturstudium willig hin. Er zeichnete aus nächster Nähe, beeindruckt vom Formenreichtum, Bäume, Pflanzen, Blätter, Sträucher, Beeren, Wurzelwerk und Felsgestein. Andere Reisen nach Italien oder an die Osteseeküste hinterließen ebenso Spuren in seinen Skizzenbüchern, die sich letzlich als Nährboden für sein leidenschaftliches Fabulieren herausstellten.

"Seine Augen trinken alles, was in seinen Sehkreis kommt!"

Von Mai bis August 1994 erarbeite Roland Staab 39 Graphitzeichnungen in Form von "Tagebuchblätter"n. Auf ihnen manifestieren sich alpdruckartige, lineare Verwucherungen von Zweigen, Pflanzen, Vogelwesen, Beeren, Früchten, Zähnen, Augen, die von gedärmartigen, knorpeligen Schlingpflanzen behindert werden. Als Betrachter erlebt man die Verpuppung von Faltern, spürt Chaos und Schwerelosigkeit, bemerkt beängstigende Gerätschaften "kubin’scher" Ausprägung, die an Folterwerkzeuge erinnern mögen und dennoch wird in dieser unbehaglichen Fremde irgendwo triumphierend eine Fahne gehißt. Sieg!!!

Dem "horror vacui", der Angst vor der Leere, begegnet Roland Staab mehr und mehr mit seriellen Reihungen, Werkfolgen, die es ihm erlauben, nicht wie ursprünglich dem renaissancistischen Vorbild verpflichtet, "Bilder im Bild" zu entwickeln, sondern einer konzeptionellen Idee vom "Bild nach dem Bild" nachzugeben. Desweiteren läßt sich eine Vorliebe zur Ausnutzung von Positiv-Negativ-Effekten in Motiv-Variationen der sogenannten Copy-Art nachweisen (Positiv-Druck: schwarz auf weiß; Negativ-Druck: weiß auf schwarz)

Ein ganz besonderer Höhepunkt der künstlerischen Präsentation mit Arbeiten von Roland Staab war eine 1994 in der Dresdner Galerie Mitte ausgerichtete Kabinettausstellung. In üppiger Maßlosigkeit überließ sich der Künstler dem Spiel einer Raumverwandlung. Man gewann den Eindruck eines suggestiven, perspektivistischen Bühnenbildes, in dem man als Betrachter aufgefordert war, zu agieren. Dicht gedrängt, dokumentierten sich an den Wänden "Die phantastischen Verwandlungen eines freundlichen Elefanten". Im Raum selbst befanden sich auf einem Podest nahezu lebensgroße, farbige Leporellos und ein Regal mit eingeweckten, reliquienähnlichen Fundstücken (Steinen, Samen, Blättern), Künstlerbüchern, Schaukästen, Fähnchen und Dada-Objekten. Die Überraschung für das Kunstpublikum war groß, denn mit einer derartigen, formalen Mannigfaltigkeit koloristischer Maskeraden hatte man die Dresdner Kunst bislang nicht in Verbindung bringen können.

Neben der Collage gewann zunehmend die Frottage, ein Durch- und Abreibeverfahren von Strukturen und Gegenständen an Bedeutung. Waren die ersten Frottagen Abreibungen von Holzmaserungen, kamen bald weitere Materialien hinzu: gestauchte Blechbüchsen, Stein- und Gewebestrukturen. Beispiele dessen findet man in den Abfolgen "Die Musikalischen", "Die Stillen", "Das Undercorverorchester" wieder. Mit einer besonderem Vorliebe widmet sich Roland Staab dem Theatralischen und Musikalischen in seinen Arbeiten. Auf den "Brettern, die die Welt bedeuten" agieren seine Zwitterwesen und Windgesellen in heiterer Ausgelassenheit mit den unterschiedlichsten Instrumenten bestückt, um die Botschaft der mitunter sich gegenseitig bestürmenden Farbklänge weiterzugeben. Roland Staab ist sowohl ein unermüdlicher Zeichner, als auch ein feinsinniger Kolorist. Er sättigt die Formen mit Farbe, zart lasierend oder pastos und vermag es, dem Betrachter mit zeichnerischer Perfektion eine Collage oder eine Assemblage zu suggerieren. Die Werkfolge "Seltsamste Erfindungen" (1995) belegt eine deartige Illusion auf einprägsame Weise. In diesem Zyklus enttarnt sich Roland Staab wieder als Konstrukteur, erfindet den "Vorsageapparat", den "Schnippselautomat", die "Nachdenkmaschine" und den " Springenden Punkt". "Ich habe über den Sinn und Unsinn von Ideen nachgedacht, die durch technische Gebilde greifbare Realität werden.", schrieb Roland Staab 1998, "Ich habe über Technikgläubigkeit nachgedacht und das Phänomen, etwas nur deshalb zu tun, weil man technologisch dazu in der Lage ist." Diese nahezu naturalistischen, räumlichen Visionen waren bereits eine Vorahnung davon, daß Roland Staab gewillt war, den Rahmen zu sprengen, Grenzen zu überschreiten, sich in dreidimensional-plastischen, banal-absurden, humorig-anegdotischen sowie intelligent-poesievollen Konstruktionen auszuprobieren. Die teilweise mit Motorenkraft angetriebenen "Flugapparate", "Die Windfabrik" und "Der Turner" entstanden aus Strandgut, Ästen, Papier und Glaskugeln.

(Ähnlich wie im Traum: Man fühlt ihn beim Erwachen ganz genau, aber man kann ihn nicht sagen.)

Karin Weber
Januar 1999

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